Freitag, 23. Januar 2009

Kapitel 1

Es war dunkel geworden. Die Sonne war bereits zum größten Teil hinter den Bergen verschwunden, welche bereits lange, dunkle Schatten in die umliegenden Täler warfen. Aus den Wäldern drangen bereits die unheimlichen Geräusche der Nacht. Ein brechender Ast, der Ruf eines Kauzes, das Raunen der hohen, mächtigen Bäume, alle diese Geräusche kündeten von der herannahenden Nacht. Doch noch ein weiteres Geräusch, welches nicht so ganz zu den übrigens passte, war zu hören.

Schnelle Schritte, die den Hügel hinauf hetzten, auf welchem das kleine befestigte Haus des Chevalier von La Braque stand. Der schwere Atem eines Mannes, der unter größter Anstrengung und mit äußerster Kraft, so schnell als möglich auf dem schmalen Pfad zu dem herrschaftlichen Sitz des Chevaliers zu gelangen versuchte.

Ein junger Mann um die 17 Jahre alt, in die einfache Kleidung eines Bauern gehüllt, rannte wie von tausend Räubern gehetzt und ohne auf die Kühle der hereinbrechenden Nacht zu achten den Weg von dem kleinen Ort La Braque den Hügel hinauf. Er schaute sich nicht um, sei es aus Angst oder einfach nur um keine Zeit zu verlieren.

Nach kurzer Zeit, in den Augen des Jungen mussten es Stunden sein, kam der kleine Turm und das erhabene Torhaus des ummauerten Lehnshauses in Sicht. Noch schneller trieb er seinen Schritt voran.
“Lasst mich ein, lasst mich ein, ich muss…”, seine Stimme erstarb als er sah, das weder das Torhaus noch der Turm von einer Wache besetzt war. Stattdessen stand das düster gähnende Tor auf wie das Maul eines alles fressenden Untiers. Erstaunt verlangsamte er seinen Schritt. War er zu spät?
Sein Blick wanderte die hohen Mauern entlang und dann hoch zu dem schmalen Wohnturm, in welchem die Familie des Chevaliers lebte. In einem Zimmer sah er den flackernden Schein einer Laterne oder einer Kerze. Hoffnung keimte in ihm auf und er gebot seinen Beinen, trotz ihrer Müdigkeit und Schwere, wieder schneller zu laufen.

Als der Junge keuchend das Tor erreichte, musste er sich kurz an einem Torpfosten abstützen. Er schaute kurz zurück und lauschte in die Nacht hinein. Nur ein paar Sekunden.
Stimmen zerrissen die Stille der Nacht. Ein Eichelhäher flog, von dem Geschrei aufgeweckt, davon und warnte alle anderen Tiere des Waldes vor der herannahenden Gefahr. Weit in der Ferne für Menschen kaum vernehmbar hörte er sie. Sie waren bereits aus dem Dorf aufgebrochen und hatten sich ebenfalls mit tödlicher Geschwindigkeit auf den selben Weg gemacht wie er. Doch sie hatten Pferde, schnelle kampferprobte Schlachtrösser, die es gewöhnt waren Hügel und Berge sogar unter feindlichem Beschuss hinaufzueilen und den Feind zu stellen.

Weiter, er musste weiter. Er spannte die Muskeln an und zwang sich dazu weiter zu laufen. Seine Beine wollten nicht mehr und ein Krampf machte sich in seinen Waden bemerkbar, doch er musste es tun, für den Chevalier, den guten Chevalier, für Gott und für sein Dorf…

Mit schnellen, langen Schritten hatte er den Hof überquert und fand auch die Eingangspforte zum Wohnturm zu seinem erstaunen weit geöffnet. Seine Gedanken waren nur damit beschäftigt seinen Herrn zu warnen nicht aber warum die Tore aufstanden als würde er lieben Besuch erwarten.
Die alte Treppe ächzte unter den Schritten des Jungen, obwohl dieser nicht von besonders schwerer Statur war.
In der Wohnstube der Familie hörte er eine Geräusch jemand stellte Geschirr und Besteck auf den Tisch. Sofort verlangsamte er seinen Schritt, zupfte kurz seine ärmliche Kleidung zurecht und trat dann ohne zu klopfen ein.

Schnaufend und mit hochrotem Gesicht von der Anstrengung, stand er in der Wohnstube. Der Chevalier, seiner Frau und die drei Kindern von sechs, neun und dreizehn Jahren standen um den Tisch herum und lächelten ihn an, als hätten sie ihn erwartet.
Der Junge versuchte nach Luft zu schnappen.
“Sie… sie….sind hier…,” die Luft ging ihm aus.
“Sei gegrüßt Jeremias, setze dich doch… Und hole erst einmal wieder Luft,” sagte Chevalier de Braque freundlich und wies ihm einen Stuhl.
“Aber Herr, .. Ihr versteht nicht…. Sie… sie sind da. Ihr müsst euch verstecken!” Völlig verdutzt schaute er die ihn fast mitleidig anschauende Frau des Ritters an. Sie lächelten.
“Ich weiß, Jeremias, ich weiß, setze dich und trink mit uns.” Der Ritter schob Jeremias, wie er den Jungen nannte einen Stuhl hin, sodass dieser sich setzen musste und reichte ihm einen Zinnbecher. Jeremias trank.
Er spuckte aus, es war Wasser. Der Junge hatte Wein oder dünnes Bier erwartet wie es sogar bei ihnen den einfachen Leuten üblich war. Es war einfaches Wasser. Er erschrak
“Habt ihr…?” er sprang auf und schaute den Chevalier, seine Frau und dann die Kinder an.
“Das Consolamentum? Ja. Parfaits Nicholas hat uns vor ein paar Minuten das Consolamentum gespendet.” Der Chevalier lächelte ihn an.
“Aber…” sagte Jeremias ungläubig,” aber das heißt….”
Er schluckte.

Stimmen drangen von draußen herein. Grobe Männer, Stimmen und der Lärm von Rüstungen und Waffen. Kurze Zeit später polterten mehrere Männer die alte, ächzende Treppe des Wohnturmes hinauf.
Soldaten und Ritter gekleidet in den Farben des Königs von Frankreich drangen ohne zu klopfen oder um Erlaubnis zu fragen in die Wohnstube ein. Sie hatten die Schwerter gezogen.
Chevalier de Braque ging um den Tisch herum und stellte sich zu seinen Kindern.
Jeremias versuchte sich ungläubig, was er da sah, in eine Ecke zu drücken.
Der Ritter umarmte mit dem einen Arm seine Frau mit dem anderen seinen ältesten Sohn. Sie lächelten, doch in ihren Mundwinkeln und Gesichtszügen glaubte Jeremias auch die verzerrten Züge der Angst zu erkennen.
Die kleinste, die sechs jährige Magdalena lief erschrocken zu ihrer Mutter und versteckte ihren Kopf in ihrem makellos, weißen Kleid, sie weinte.
Ihre Mutter streichelte das Mädchen ohne ein Wort an sie zu richten. Auch in ihren Augen sah Jeremias das blanke Entsetzen. Sie war so eine großzügige, gutherzige Frau gewesen und sie sollte jetzt….

Die herein gestürmten Soldaten bildeten rechts und links neben der Stubentür eine Reihe, um einem Herren in dem weit und breit bekannten und verhassten schwarz-weißen Mönchsgewand der Dominikaner Platz zu machen. Bruder Eusebio Bartholomäus di Benedikti, der Großinquisitor der Grafschaft von Toulouse trat ein.
Sein Gesicht war zu einem hämischen Grinsen verzerrt.
“Chevalier Francois de Braque ich freue mich euch zu sehen.” sagte er mit offensichtlich gespielter Freundlichkeit. Er ging um den Tisch herum und schaute auf die Becher mit dem kargen Trank.
“Wasser.! Dann will ich also nicht weiter Drumherum reden. Chevalier Francois de Braque ihr werdet der Ketzerei beschuldigt und ihr sollt der von Papst Urban für häretisch erklärten Sekte der Katharer angehören. Was habt ihr dazu zu sagen?”

Der Inquisitor wartete gar nicht erst ab, sondern winkte bereits während er sprach mehrere Soldaten herbei, der die Familie in Ketten legen sollte. Niemand sprach ein Wort als zunächst dem Ritter, dann seiner Frau und den Kindern die Fußketten angelegt wurden. Magdalena weinte bitterlich als der Soldat sie grob von ihrer Mutter los riss. Auch der Frau des Chevaliers standen jetzt Tränen in den Augen. Jeremias wollte etwas sagen, um Verzeihung bitten oder irgendetwas sagen. Doch der Chevalier blickte ihn an und schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Dann lächelte er, als ob nichts weiter passiert wäre.

Grob und ohne Rücksicht auf die noch kleinen und zarten Knochen der Kinder wurde die Familie die Treppe hinunter gestoßen. Der Inquisitor und die Soldaten folgten dem Tross, sodass Jeremias nach kurzer Zeit allein im Zimmer war. Tränen flossen ihm die Wange herunter. Bittere Tränen. Er hatte versagt….

Mit vor Tränen verschleiertem Blick sah Jeremias aus dem Fenster. Im Hof wurde die Familie hinter den, von den Soldaten mitgeführten Wagen gebunden. Der Großinquisitor nahm vorn in dem bequemen Wagen platz und gab dem Sergeant das Zeichen zum Aufbruch.
Ein Soldat stieß dem Chevalier voller Verachtung den Stiel seiner Hellebarde in den Rücken und schrie ihn an: “Los du Teufelsanbeter, Geh schon…. Der Teufel kann dich jetzt auch nicht mehr retten…”. Die umstehenden Soldaten lachten und bespuckten die ganze Familie und riefen ihnen Schmähworte zu.
Jeremias hielt sich die Ohren zu. Seine Knie wurden weich und er stürzte zu Boden. Er schrie und weinte bis er einschlief. Mitten in der Nacht erwachter er und voller Trauer und voller Scham versagt zu haben schleppte er sich nach Hause. Auf dem Marktplatz konnte man bereits die schwarzen Silhouetten der fünf Scheiterhaufen erkennen.

Im Morgengrauen wurde die Familie des Chevaliers de Braque auf den Marktplatz geführt. Eine große Menge Menschen war bereits versammelt und wartete.
Viele hatten Trauer in ihren Gesichtern stehen, andere Mitleid und Angst und einer kleinen Gruppe sah man die Verachtung schon von weitem an. Diese waren auch die einzigen die schrien und Beleidigungen riefen als die Familie in einem langen Tross aus Soldaten die Scheiterhaufen erreichten.
Als die Familie nun mit den schweren Eisenketten an den Pfählen inmitten der Reisigbündel angekettet war, entrollte der Großinquisitor ein Pergament und erhob die Stimme: “Werte Bürger von La Braque, dieser euer Herr wurde bezichtigt und für schuldig befunden ein Ketzer zu sein. Er verachtet die heiligen Riten und Gesetze der Mutter Kirche. Er gab sich satanischen Ritualen hin und hat wiederholt den Teufel und seine Dämonen beschworen…”
Die Menschenmenge wurde still, einige Bekreuzigten sich und schauten verängstigt.
Der Inquisitor sprach weiter: “Er gab zu Mitglied einer häretischen Sekte zu sein die unter dem Namen Katharer oder Bon Homme bekannt sind! Unser Heiliger Vater in Rom verurteilt durch mich, den Großinquisitor der Grafschaft Toulouse, hiermit diese Familie zum Tot durch das läuternde Feuer.”
Nach einem kurzen Blick auf den Chevalier und einem kaum merklichen Grinsen in den Mundwinkeln gab der Großinquisitor ein Zeichen und fünf Soldaten entzündeten gleichzeitig die Reisigbündel der Scheiterhaufen.
Jetzt begannen die Kinder zu weinen und um Hilfe zu schreien. Vater und Mutter weinten bitter, als sie die Klagen ihrer Kinder hörten. Dann begann der Vater mit halb erstickter Stimme zu singen….
Alles wurde Still, die Kinder hörten auf zu weinen, die Menge auf dem Marktplatz schaute ungläubig zu den hell lodernden Feuern.
Auch die Frau des Chevaliers und auch die Kinder setzten nun ebenfalls mit in den Gesang ein. Als auch noch viele der Menschen auf dem Marktplatz einstimmten, schaute der Großinquisitor grimmig, erst auf die lodernden Flammen, die beinahe die Pfähle mit den Gefangenen erreicht hatten, dann auf die Menschenmenge auf dem Marktplatz als wolle er sich jedes ihrer Gesichter einprägen. Dann ging er schnellen Schrittes in das Rathaus der Stadt zurück.

Nach kurzer Zeit begannen als erstes die Kinder unter dem lauten Prasseln des trockenen Reisighaufens vor Schmerzen zu schreien als ihre mit Pech bestrichenen Kleider Feuer fingen und das Geschrei immer leiser wurde. An seine Stelle trat das gespenstische Prasseln und Zischen von verbrennenden Körpern und zerberstenden Knochen.

Als letztes sang nur noch die Frau des Chevaliers mit ihrer vor Schmerzen brechenden, jedoch immer noch glockenhellen Stimme den Refrain des Liedes:
Lux Lucet in Tenebris.

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